Fast 2,6 Millionen Menschen sind 2015/16 in EU-Länder geflohen. Als Reaktion beschlossen die EU-Mitgliedstaaten, die Türkei bei der Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen. Als Stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsauschusses des Europaparlaments durfte ich eine Delegationsreise leiten, die sich vor Ort ein Bild gemacht hat, wie die Mittel eingesetzt werden.

FRIT und IPA: EU-Hilfsprogramme in der Türkei und dem syrischen Grenzgebiet

Die Europäische Union unterstützt mit der „EU-Facility for Refugees in Turkey (FRIT)“ mit 6 Milliarden Euro Projekte in der der Türkei bei der Versorgung von Geflüchteten. Die geografische Lage der Türkei macht sie zu einem Erstaufnahme- und Transitland. Derzeit leben rund 4 Millionen Geflüchtete in der Türkei, davon rund 3,7 Millionen aus Syrien sowie über 300.000 aus Afghanistan, Irak, Iran und Somalia. 

Die EU-Hilfe über die „EU Facility for Refugees in Turkey (FRIT)“ und das „Instrument for Pre-Accession Assistance (IPA)“ zielt darauf ab, Geflüchtete zu unterstützen, Zugang zu Bildung zu ermöglichen, Gesundheitsversorgung zu gewährleisten sowie für Schutz und eine Existenzgrundlage zu sorgen. Die Mittel werden eingesetzt für den Kauf von Lebensmitteln, Miete, die Unterstützung von 668.900 Kindern beim Schulbesuch, der Zugang zu medizinischen Leistungen, den Schutz gefährdeter Gruppen, Impfdosen, den Bau von Schulen, Krankenhäusern, Wasser-und Abfallentsorgung, Aus-und Weiterbildung und vieles mehr.

Mittel für konkrete Projekte

Die EU-Mittel fließen zum großen Teil direkt an konkrete Projekte, nicht an die türkische Regierung. Davon konnten wir uns vor Ort überzeugen. Viele Projekte werden mit internationalen Organisationen umgesetzt, darunter UNICEF, UNHCR, die KfW, die Weltbank. Unsere Delegation hat im Bezirk Mamak von Ankara unter anderem ein Vorschulprojekt besucht, das von UNICEF, der Lego Foundation, FRIT und MoNE finanziert wird. Außerdem werden Journalisten durch Ausbildung, Schulungen und Vernetzung unterstützt, etwa im Rahmen des Projekts „Media for Freedom“. So stärkt und unterstützt die EU die freie Berichterstattung und Presse.

Unverzichtbar: Die Gesundheitsversorgung

Bis Mitte 2021 gingen 180 Gesundheitszentren zur Gesundheitsversorgung in Betrieb. Hinzu kommen mobile Teams für Menschen ohne Zugang zu den Zentren. Insgesamt sind dank der EU-Mitteln fast 4.100 Arbeitskräfte im Gesundheitsbereich tätig. Die Pandemie hat die Versorgung vor neue Herausforderungen gestellt, vor allem die mobile Versorgung sowie Schulungen waren erheblich beeinträchtigt. Über 5,5 Millionen Erst-, Zweit-, und Drittimpfungen sind bis Ende Juni 2021 für Kinder und Jugendliche durchgeführt worden. 

Strategische und sicherheitspolitische Bedeutung der EU-Hilfe

Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der starke Präsenz des russischen Militärs in Syrien hat die EU-Hilfe in der Türkei eine neue strategische und sicherheitspolitische Dimension erreicht. Im Großraum der Stadt Idlib leben rund 4 Millionen Menschen, davon 1,5 Millionen in Zelten. Die Region wird von der islamischen Miliz HTS (Haiat Tahrir al-Scham – Komitee zur Befreiung der Levante), einer Abspaltung von al-Qaida, unter Duldung der Türkei regiert. Mit türkischer Hilfe leistete die Region lange Widerstand gegen Assad. Ein Waffenstillstand zwischen der Türkei, HTS, Syrien und Russland sorgt mittlerweile für eine halbwegs stabile Lage. Seit dem 24. Februar ist sie jedoch noch fragiler als ohnehin schon: Die Camps in Idlib liegen in direkter Reichweite russischer Artillerie. Es bleibt abzuwarten, ob Russland die Geflüchteten als Druckmittel einsetzen wird. 

Umso wichtiger ist es, dass die EU die Hilfe in der türkisch-syrischen Grenzregion fortsetzt und die Türkei unterstützt. Sie bleibt bei aller richtigen Kritik ein strategisch wichtiger Partner der EU. Eine weitere Welle Geflüchteter parallel zur Aufnahme der Ukrainerinnen und Ukrainern würde die Mitgliedsstaaten vor Herausforderungen stellen, die derzeit nicht abzusehen sind. Die Reise hat deutlich gemacht, dass der Krieg in Syrien und die Konflikte in der Region weiter von Bedeutung sind und nicht vergessen werden dürfen. 

Den gesamten Bericht gibt es hier (PDF, 2 MB).